Russell D. McLean: Ed ist tot


Jen Carter, Prosecco liebende Buchhändlerin in Glasgow, die gerade ihren Traum von der Schriftstellerei an den Nagel gehängt hat, ist mit einem totalen Chaoten namens Ed zusammen, bis er ihr ins Brotmesser läuft - versehentlich. Doch was tun mit seiner Leiche, seinen Drogen und dem ominösen Geldberg, den Ed hinterlassen hat? Und noch viel wichtiger: Wie kann man den brutalen Typen entkommen, die jetzt hinter Jen und dem Geld her sind? Da hilft nur der Griff zur Bratpfanne ... 

Und plötzlich steht Jen kurz davor, sich den Titel "Gefährlichste Serienkillerin Schottlands" zu holen.

Kriminalroman

Golkonda (2018)

Originaltitel: Ed's Dead

ISBN 978-3-946503-47-7

EUR 12,90




Leseprobe

Als Dave bei mir ankommt, habe ich mich umgezogen. Das, was ich anhatte, als ich Ed erstochen habe, liegt eingeweicht in der Wanne. Jetzt trage ich eine alte Jeans und einen Pulli, den ich sonst nur im Winter anziehe. So einen aus dicker Wolle, der sich anfühlt wie eine Umarmung. Genau das, was ich jetzt brauche.

Dave sieht aufgedreht aus. Seine Augen sind gerötet, und ich vermute, er hat was geraucht. Es ist mir ein Rätsel, wie er es hierher geschafft hat, ohne angehalten zu werden. Na ja, wahrscheinlich hat die Polizei Besseres zu tun, als das West End nach bekifften Autofahrern abzusuchen.

Als Dave Eds Leiche erblickt, sieht er nur hinunter und sagt: „Wow“, wie so ein kalifornischer Surfertyp. „Er ist echt tot?“

„Jepp.“

„Und du hast ... ?“ Er deutet auf das Messer, das immer noch neben Ed auf dem Boden liegt.

„Ja.“

„Alles okay mit dir?“

Ich zucke die Achseln.

„Warum zum Teufel hast du das getan?“ Dave geht um Ed herum und mustert ihn eingehend, als würde er vielleicht etwas entdecken, was ich übersehen habe. Einen Atemzug. Oder eine Bewegung der Hand.

Aber ich weiß, dass Ed sich nicht bewegen wird. Er kann es nicht. Er ist tot.

Und du hast ihn umgebracht, Jen, vergiss das nicht. Du hast ihm ein Messer in den Körper gejagt und nichts unternommen, als er es rausgezogen hat. Was? Erzähl mir nicht, du hättest nicht gewusst, dass das eine richtig schlechte Idee ist.

Dave geht neben der Leiche in die Hocke. Er hat Gummihandschuhe an. „Was hat er gemacht?“

„Warum die Handschuhe?“

„Was hat er gemacht?“

„Warum hast du Handschuhe an?“

„Du hast mich um Hilfe gebeten“, sagt er. „Ich dachte, das wäre angebracht.“

„Wieso?“

„Hast du vor, die Polizei zu rufen?“

Ich antworte nicht.

Er nickt. „Dachte ich mir.“

„Ich dachte, du würdest ...“

„Was hat er gemacht?“

„Er war im Wandschrank“, sage ich.

„Was?“

„Er war im Wandschrank. Er ist hier eingebrochen. Na ja ... er hatte noch den Schlüssel. Ich hab vergessen, ihn mir zurückgeben zu lassen. Aber er wusste, dass er hier nichts mehr zu suchen hatte. Ich hab ihm gesagt, er soll verschwinden. Dann ist das doch ein Einbruch, oder?“

„Wann hast du vergessen, dir den Schlüssel zurückgeben zu lassen? Ich meine, wie lange ist das her?“

„Heute Morgen.“

„Hä?“

„Als ich Schluss gemacht habe.“

„Ah.“ Dave wirkt erstaunlich ruhig. Liegt wohl zum Teil an den Drogen. Er ist einer von denen, die mehr oder weniger immer high sind. Aber zum Teil liegt es auch daran, dass Dave einfach ist, wie er ist. Er ist die lebende Definition von stoned. Er lebt für sein Gras. Einer der Gründe, weshalb er gerne mit Ed zusammengewohnt hat: Ed war Daves Quelle. Mehr war er aber offenbar nicht, wenn Dave schon mit Gummihandschuhen anrückt.

Hat er womöglich eine Säge im Kofferraum?

Im ersten Moment finde ich die Vorstellung komisch, doch dann überläuft mich ein kalter Schauer.

Dave blickt zu mir hoch. Er beißt sich auf die Unterlippe und zieht die Stirn kraus. Er sieht aus, als wollte er etwas sagen, doch dann scheint er seine Meinung zu ändern.

„Ich will einfach nur, dass das hier vorbei ist“, sage ich. „Wenn ich die Polizei rufe, glaubt mir keiner, dass es ein Unfall war. Nach allem, was zwischen Ed und mir war, weiß ich, was die Leute sagen würden, wenn die Polizei sie fragt, und ich kann’s nicht beweisen.“

„Es war aber ein Unfall, oder?“

„Ja“, sage ich. „Ja, natürlich.“

„Okay.“ Er steht auf, sieht zum Wandschrank. Die Tür steht immer noch offen, und das Licht ist noch an. Dave steigt über Eds Leiche und geht zum Schrank. „Er war hier drin?“

„Ja.“

Er sagt erst mal nichts weiter, steht nur da und sieht sich um, als würde ihm gleich einfallen, warum Ed sich im Wandschrank versteckt hat. „Komm mal her“, sagt er dann.

Ich stelle mich neben ihn. Eds Leiche liegt jetzt hinter uns. Ein Teil von meinem Gehirn stellt sich vor, wie er sich auf einmal bewegt, aufsteht und die Hände nach uns ausstreckt, um uns den Hals umzudrehen, als Rache für das, was wir ihm angetan haben.

Wir?

Ich.

Mir dreht sich der Magen um. Ich schlucke, um mich nicht zu übergeben. Dann fällt mir etwas ein, das ich mal in einem Thriller gelesen habe. Vielleicht von Patricia Cornwell. Dass Lächeln gegen den Würgereflex hilft. Was ich veranstalte, ist wohl eher eine Grimasse, eine Art Placebo, aber es funktioniert.

„Was siehst du?“

Ich blicke mich um. „Müll.“ Eine traurige Beschreibung für Dinge, die mich an diverse Zeiten in meinem Leben erinnern. Alte Schuhe, sogar alte Drucker und Computer, von denen ich nicht wusste, was ich damit machen sollte. Mehrere Kartons mit Fotos aus der Zeit, bevor ich angefangen habe, alles digital zu fotografieren und auf Facebook hochzuladen.

„Irgendwas Ungewöhnliches?“

„Ich ...“ Ich glaube nicht. Bis mein Blick auf zwei ledernen Sporttaschen landet, die definitiv nicht mir gehören. Sie sind alt, mit einem Logo von Head, und das Leder ist abgewetzt und brüchig.

„Die da kenne ich nicht.“

Dave nickt. Greift nach den Taschen. Hebt sie hoch, um ihr Gewicht zu prüfen. Dann nimmt er sie, steigt erneut über Eds Leiche und trägt sie ins Wohnzimmer. Plötzlich sieht er nicht mehr wie der harmlose Kiffer aus, den ich zu kennen glaubte. Da ist ein Ernst, eine Zielstrebigkeit, die ich bei ihm nie vermutet hätte.

Ich folge ihm. Alles fühlt sich irgendwie an wie im Traum, als würden meine Füße den Boden nicht berühren, als wäre mein Körper gar nicht richtig hier.

Wir setzen uns aufs Sofa.

Dave öffnet die Taschen nicht sofort, sondern schaltet erst mal den Fernseher an und klickt sich zum Nachrichtensender von BBC durch. „Wenn ich was hasse“, sagt er, „dann ist es Stille.“

Es juckt mich, etwas zu entgegnen wie: „Selbst wenn im Flur eine Leiche liegt?“, doch der Scherz bleibt mir Hals stecken. Ich glaube, ich möchte nie wieder sprechen. Ich will ins Bett kriechen, mir die Decke über den Kopf ziehen. Wie Ebenezer Scrooge, als ihm Marleys Geist erscheint, will ich, dass das alles nur eine Halluzination ist, ausgelöst durch das Essen von Käse vor dem Schlafengehen.

Aber das hier ist keine Halluzination.

Es ist wirklich passiert. Ich kann dem nicht entkommen. Auch wenn ich mich in die Arme kneife, bis sie lauter blaue Flecken haben, werde ich nicht aufwachen.

Dave nimmt die erste Tasche, zieht den Reißverschluss auf und kippt den Inhalt auf den Fußboden. Mit einem dumpfen Poltern landen lauter Bündel auf den Dielen. Zum Glück steht die Wohnung unter mir momentan leer. Bei dem ganzen Lärm heute Nacht wäre sonst schon längst die Polizei hier.

„Heilige Scheiße“, sagt er.

„Allerdings.“

Was soll ich sonst sagen?

Die Bündel sind Geldscheine. Fest zusammengewickelt. Hundert-Pfund-Scheine sind mir bisher nur selten begegnet. In den Läden will sie keiner annehmen, weil sie oft gefälscht sind. So viele auf einmal habe ich noch nie gesehen.

Ich hebe eines davon hoch.

„Was ist das?“

„Wonach sieht’s denn aus?“

„Ich meine, woher kommen die?“

Dave nickt wissend. „Ich wusste, dass Ed Geld hatte“, sagt er. „Eine Menge Geld, das ihm nicht gehörte. Er hat es hier versteckt. Wahrscheinlich dachte er, dass du nie in den Schrank gucken würdest.“

„Das ist so was wie meine private Müllkippe. Ich will da schon seit einer Ewigkeit mal ausmisten, aber ...“ Ich denke daran, wie meine Mum und ich nach dem Tod von meinem Dad beschlossen, den Dachboden aufzuräumen, wo er alles Mögliche gelagert hatte, von dem er meinte, dass man es irgendwann noch mal gebrauchen könnte. Das meiste von dem Zeug war völlig wertlos. Aber vielleicht habe ich das ja von ihm geerbt, diese Unfähigkeit, irgendetwas wegzuwerfen. Selbst alte Klamotten, die mir nicht mehr passen, landen im Wandschrank. Nur für den Fall ...

„Und dann hast du ihn ausgemistet.“

Ich sehe Dave an. Er sieht mich auch an, und er überlegt ganz offensichtlich, wie er mir klarmachen kann, was er meint. „Du hast ihn in die Wüste geschickt“, sagt er, „und da war ihm klar, dass er die Taschen nicht hier lassen konnte.“

„Also hat er gewartet, bis ich weg war ...“

„Und dann ist er hergekommen, um sie zu holen.“

„Nur dass ich ihn dabei überrascht habe.“

„Ende der Geschichte.“

Ich starre auf die vielen Bündel.

Dave leert die zweite Tasche.

Diesmal ist es kein Geld.

Trotzdem macht der Inhalt eine Menge Krach, als er auf dem Boden landet.

„Mich laust der Affe“, sagt Dave nach einem Augenblick andächtigen Schweigens.