Kerri Maher: Grace. Das Mädchen mit den weißen Handschuhen


Ein Märchen scheint wahr zu werden, als im April 1956 Grace Kelly den Fürsten Rainier von Monaco heiratet. In Hollywood war »die kühle Blonde« ein Star, sie ist die Lieblingsschauspielerin von Alfred Hitchcock, spielte an der Seite von Cary Grant, Gregory Peck und Gary Cooper. Und nun erobert sie mit ihrem Lächeln die Herzen der Monegassen und bringt internationales Flair in das kleine Fürstentum an der Côte d’Azur. Doch hinter den Kulissen ist längst nicht alles Gold, was glänzt; das glamouröse Leben hat auch Schattenseiten. 

Roman

Insel (2020)

Originaltitel: The Girl in White Gloves

ISBN 978-3-458-68117-5

EUR 12,95




Leseprobe

März 1955

 

„Warum sind wir noch gleich hier?“, fragte Peggy, die flache Hand schützend über den Rand der Sonnenbrille gelegt. Es war erst Frühling, doch die Sonne in Jamaika schien bereits so gleißend und heiß wie in den Hollywood Hills im Juli.

„Schwesterherz, wir sind im Paradies. Da fragt man nicht nach dem Warum. Genieß es einfach“, erwiderte Grace lachend und griff nach dem cremeweißen Telefon, um einen Krug Ananassaft bringen zu lassen. Eigentlich hatte sie zwei Daiquiris mit hiesigem Rum bestellen wollen, aber dann erinnerte sie sich daran, dass Peggy gesagt hatte, sie wolle etwas kürzer treten, was den Alkohol betraf, und sie selbst musste einen klaren Kopf behalten, für Howell Conant, der später mit seinen Kameras kommen würde. Und für die bevorstehende Oscar-Verleihung wollte sie in Bestform sein. Auch wenn sie natürlich nicht gewinnen würde – es war vollkommen klar, dass Judy Garland die begehrte Statue bekommen würde, für ihre Rolle in Ein neuer Stern am Himmel.

Doch schon allein die Nominierung war ein großes Kompliment, und eines, das Dore Schary, der Chef von MGM, nicht lange ignorieren können würde – auch wenn Ein Mädchen vom Landenicht aus seinem Studio stammte und nicht Teil ihres Vertrags mit ihm war. Wenn er sie weiter in seinem Stall haben wollte, würde er ein paar Opfer bringen müssen. Selbst er musste einsehen, dass sie ihre Strahlkraft als Star verlor, wenn er sie nur in Schrottfilmen wie Grünes Feuerspielen ließ, bloß weil es eine MGM-Produktion war. Und ebenso würde Oleg Cassini, wenn er, wie er behauptete, mit ihr zusammen sein und sein Leben mit ihr verbringen wollte, seine unerträgliche Eifersucht zähmen müssen. Sie hatte zu hart gearbeitet, um das alles einfach so hinzunehmen. Schließlich waren es ihr Leben und ihre Karriere. Schary und Oleg würden lernen müssen, sie ernst zu nehmen. Nach sieben Jahren beim Film wusste sie, welche Macht die Kamera hatte, und Howell Conant war das perfekte Instrument, um diese Macht einzusetzen.

Peggy verschwand in der Hütte und ließ Grace allein auf der steinernen Terrasse zurück, die auf den weiten, weißen Strand hinausging – ein endloser Bogen, der das sanft plätschernde blaue Wasser zu umarmen schien. Grace spürte den Sand unter ihren nackten Füßen und spielte mit den Zehen, deren Nägel unlackiert waren. Die Hände in die Hüften gestemmt, blinzelte sie in das grelle Mittagslicht und atmete tief ein. Ihre Schultern hoben sich mühelos und ihre Lunge füllte sich mit der warmen, salzigen Luft. So fühlte sich Freiheit an.

Auf einmal erinnerte sie sich daran, wie sie über den Holzsteg in Ocean City gelaufen war, Sand zwischen den Füßen, das Rauschen der Wellen, die auf den Strand rollten, über ihr das Geschrei der Möwen. Auch dort hatte sie sich frei gefühlt, in dieser schmalen, langgezogenen Stadt an der Küste von New Jersey, wo sie mit ihrer Familie jeden Sommer verbracht hatte. Solange sie draußen gewesen war, um sich vermeintlich auf dem Fahrrad oder im Meer auszutoben, und nicht in den kühlen, stuckverzierten Zimmern der Villa im spanischen Stil saß und mit ihren Puppen spielte oder las, hatten ihre Eltern sie in Ruhe gelassen. Unbeobachtet hatte sie stundenlang mit anderen Kindern Meerjungfrauen und Piraten gespielt, und als sie älter wurde, hatte sie ein Buch unter das Handtuch in ihrer Tasche geschmuggelt und war mit dem Rad so weit die Bay Avenue hinuntergefahren, dass sie außer Sichtweite ihrer Geschwister war und ungestört im Schatten eines Sonnenschirms lesen konnte.

Doch dieser Strandurlaub gehörte ihr allein. Niemand, den sie austricksen musste, und niemand, dem sie es recht machen musste, außer ihr selbst. Sie war fest entschlossen, ihn zu genießen, zusammen mit ihrer älteren Schwester, die eine Erholung gebrauchen konnte. Sie klatschte in die Hände und rief: „Peggy! Komm, lass uns in diesem herrlichen Wasser schwimmen!“

Es war eine wundervolle Woche. Das Wasser war warm, die Einheimischen waren freundlicher als alle Leute, denen sie seit Ewigkeiten in Los Angeles oder New York begegnet war, und wohin sie auch blickte, überall leuchteten üppige tropische Blumen in sämtlichen Schattierungen von Orange, Rot und Rosa. Und es gab Unmengen von Früchten. Auf jedem Markt aß sie eine Mango oder eine Orange am Stiel, fein säuberlich geschält und vorgeschnitten.

Selbst Peggy, die zu Hause immer depressiver geworden war, lebte auf. Zu Grace’ Freude verzichtete sie sogar darauf, sich ein Bier oder ein Glas Rum zu bestellen, wenn sie in ihr Lieblingsrestaurant gingen, wo es dieses köstliche Jerk Chicken gab, von dem sie nicht genug bekommen konnten. Das Restaurant war sehr einfach, kaum mehr als ein paar Plastiktische und -stühle auf der nackten Erde, beschirmt von geflochtenen Bananenblättern, aber Howell hatte sie überzeugt, es auszuprobieren. „Laut einem befreundeten Journalisten ist es das beste auf der ganzen Insel“, hatte er gemeint. Grace war ziemlich stolz auf sich, weil sie sich gleich am ersten Abend hingewagt hatte. Am nächsten Morgen hatte sie einen Brief an Hitch, ihren Freund Alfred Hitchcock, geschrieben und fröhlich gespottet, die pingelige Lisa Fremont, ihre Rolle in Das Fenster zum Hof, könnte ohne weiteres den Fotografen Jeff Jefferies auf seinen Weltreisen begleiten, wenn Grace Kelly aus Philadelphia es schaffte, in Jamaika mit den Fingern scharf gewürztes Hühnchen zu essen.

Howell hielt alles fest – wie sie schwamm, in der Sonne lag, aß und lachte, stets vor dem bewegten Hintergrund des Meeres. „Die wahre Grace Kelly“, sagte er immer wieder und schüttelte in ungläubigem Staunen den Kopf. „Ganz bei sich. Niemand hat je zuvor einen Star gesehen, der so ehrlich und unverstellt ist.“ Wenn er die Aufnahmen entwickelte, konnte sie es kaum erwarten, die fertigen Bilder zu sehen.

Gegen Ende der Woche saß sie bei Sonnenuntergang mit Howell und Peggy auf der Terrasse. Sie hatten gerade perfekt gegrillte Hamburger gegessen – immer noch ihr Lieblingsessen, ganz gleich, wie lecker andere Gerichte auch sein mochten. 

„Ich möchte dir danken“, sagte Howell und erhob seinen Becher mit Rum, um mit ihrem Wasserglas anzustoßen. „Erst fand ich es riskant, diese Urlaubsaufnahmen von dir zu machen. Das gab es bisher noch nie. Aber ich habe das Gefühl, wenn die Leute diese Bilder sehen, könnte daraus ein neuer Trend werden.“

„Ich dachte mir, ich schlage zwei Fliegen mit einer Klappe“, erwiderte Grace. Sie fühlte sich satt und zufrieden und angenehm träge in der feuchten Abendluft, die ihr Haar am Nacken kleben ließ.

„Und welche Fliegen sind das?“, fragte Peggy, die sich offenbar plötzlich wieder an die Frage erinnerte, die sie am Anfang der Woche gestellt und dann angesichts des faulen Inseldaseins prompt vergessen hatte. Warum sind wir noch gleich hier?

„Nun ja, einerseits entspannen und der Welt von Hollywood entfliehen“, antwortete Grace, „und andererseits Howell das Coverfoto für Collier’szu geben, um das er mich gebeten hat. Ich wusste einfach nicht, wann ich das sonst unterbringen sollte. Und es war doch großartig, dich hier bei uns zu haben, Howell. Ohne dich hätten wir nie dieses Hühnchen gegessen –“

„Oder den traumhaften Strand auf der anderen Seite der Insel entdeckt“, fügte Peggy hinzu.

„Und wenn wir Schary dabei noch eine kleine Lektion erteilen, umso besser“, sagte Howell schmunzelnd.

„Nanu, Howell, hältst du mich für so machiavellistisch?“, fragte Grace mit Unschuldsmiene, den Kopf ein wenig zur Seite geneigt, wie sie es schon so oft erfolgreich vor der Kamera getan hatte. Ingénue. Wie sie dieses Wort hasste, das quasi gleichbedeutend mit ihrem Namen geworden war. Aber immerhin hatte sie gelernt, diese mädchenhafte Unschuld zu ihrem Vorteil zu nutzen.

Howell lachte und trank den Rest von seinem Rum. „Ach, Grace, der Mann, den du mal heiratest, tut mir jetzt schon leid. Gegen dich hat er keine Chance.“

„Mach dir deswegen mal keine Sorgen, Howell“, sagte Peggy schläfrig. „Die Kelly-Frauen sind überaus fügsam, wenn es um die Männer geht. Dafür hat Daddy schon gesorgt.“ Grace zuckte innerlich zusammen. Jack Kelly war der Letzte, an den sie in diesem Augenblick erinnert werden wollte. Erwürde von diesen Fotos nicht beeindruckt sein; er ließ sich von gar nichts beeindrucken.

In der Nacht schlief sie nicht gut, und als Howell sie am nächsten Tag beim Schwimmen fotografierte, fühlte sie sich eigenartig, die Arme und Beine waren wie aus Gummi. Und all die Kraft, die sie die ganze Woche über gespürt hatte, schien plötzlich verschwunden zu sein.

Als sie mit dem Kopf aus dem Wasser auftauchte, kniete Howell in den Wellen und neigte sich mit dem ganzen Körper nach links, das Gesicht hinter seiner Kleinbildkamera verborgen. Er sagte: „Du siehst hinreißend aus, Grace. Und du bist intelligenter und talentierter, als sie alle glauben. Stell dir Scharys Gesicht vor, wenn du den Oscar kriegst.“ Und für einen winzigen Moment, gerade so lange, wie die Kamera brauchte, um die Blende zu öffnen und wieder zu schließen, verzog sie ihre Lippen zu einem angedeuteten Lächeln und glaubte an das Unmögliche.